17. Stolperstein-Verlegeaktion in Koblenz am 2. April 2025 mit 7 „Stolpersteinen“
Am 2. April 2025 fand in Koblenz eine weitere Aktion zur Verlegung von „Stolpersteinen“ statt. Bei dieser 17. Aktion verlegte der Kölner Künstler Gunter Demnig insgesamt sieben Stolpersteine für zwei jüdische Familien. Für die Familie Brück wurden vier Stolpersteine in der Blumenstraße 1 im Stadtteil Lützel verlegt und für die Familie Bernd drei Stolpersteine in der Innenstadt im Bereich der Görgenstraße/Ecke Clemensstraße.
In dem heute noch repräsentativen Haus Blumenstraße 1 lebte seit den 1920er Jahren die Familie Brück: Vater Hugo, Mutter Grete und ihre Kinder Helene (Hella) und Franz. Hugo Brück hatte den Rohproduktenhandel (Altmetallhandel u.a.) seines Schwiegervaters übernommen und erweitert. Die Familie war wohlhabend und hatte eine gute Zeit hier – bis am 30. Januar 1933 die Nationalsozialisten die Macht übernahmen. Ihnen war der „Jud Hugo Brück“ ein Dorn im Auge, denn er war ein geschätzter und erfolgreicher Unternehmer, der den Altmetallhandel u.a. in Lützel weitgehend beherrschte. Immer wieder versuchten die Nazis, ihn zu kriminalisieren. Das gelang aber nicht. In all diesen Schwierigkeiten starb seine Frau Grete im Sommer 1937. Daraufhin brachte Hugo Brück seine beiden Kinder zu seiner Schwester nach Trier. Dort blieben sie nicht lange, sondern kamen zu verschiedenen Verwandten nach Lothringen. Trotz weiterer Strafverfahren, wegen der Hugo Brück auch einige Zeit im Gefängnis war, gelang ihm noch Anfang 1939 die Flucht aus Nazi-Deutschland nach Frankreich und von dort mit einem Schiff nach Kuba. Seine Kinder Hella und Franz hatten in Frankreich ein unterschiedliches Schicksal. Als die deutsche Wehrmacht 1940 Nordfrankreich besetzte, floh Franz mit der Familie seiner Tante nach Westen, tauchte später im Süden Frankreichs unter und konnte nach der Befreiung Frankreichs in die USA auswandern, wo sein Vater inzwischen von Kuba aus hingekommen war. Hella blieb bei ihrem Onkel und wurde dann 1942 in Angers festgenommen, in das Sammellager Drancy bei Paris verschleppt und in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Bei der Ankunft dort wurde sie mit Giftgas ermordet.
Für die Verlegung der Stolpersteine der Familie Brück hatte sich die Arbeitsgruppe „Demokratie leben“ der Realschule plus auf der Karthause mit ihrer Lehrerin Frauke Rittscher engagiert. Sie organisierte auch die Veranstaltung zur Stolperstein-Verlegung. Hierzu begrüßte der Vorsitzende der Christlich-jüdischen Gesellschaft für Brüderlichkeit Koblenz, Pater Prof. Dr. Alban Rüttenauer, die zahlreichen Besucher, Oberbürgermeister Langner und Schulleiter Dobbertin sprachen ein Grußwort und die Arbeitsgruppe berichtete mit ihrer Lehrerin Rittscher über das Schicksal der Familie Brück.
Umrahmt wurde die Veranstaltung mit Beiträgen verschiedener Musizierenden.
Dann folgte die zweite Stolperstein-Verlegung in der Koblenzer Innenstadt. Bei ihr wurden drei Stolpersteine für die jüdische Familie Bernd verlegt: für Vater Sally, Mutter Paula und Sohn Addi.
Vater Sally Bernd entstammte einer seit 1840 in Koblenz ansässigen Familie. Um 1880 gründete er ein Schuhgeschäft in Koblenz, das nach dessen Tod seine Söhne Sally und Alfred unter dem Namen „Schuhhaus Gebrüder Bernd“ in der heute nicht mehr existierenden Balduinstraße an der Ecke Görgenstraße fortführten. Im Jahr 1921 kam Sallys und Paulas Sohn Adolf zur Welt. Dass man ihn vor allem später nur „Addi“ nannte, hatte etwas mit den Zeitläuften zu tun. Denn nach der Machtübernahme Adolf Hitlers und dessen Rassenwahn wollte man nicht mehr Adolf genannt werden. Mit den Nazis an der Macht fand auch für die Familie Bernd die schöne und unbeschwerte Zeit in Koblenz nach und nach ein Ende. Das Geschäft ging infolge des von den Kunden mehr oder minder durchgehaltenen „Judenboykotts“ zurück und Sohn Addi musste die von ihm besuchte private höhere Handelsschule wegen der Schikanierungen, des „mobbings“ verlassen. Beim Novemberpogrom 1938 („Reichspogromnacht“) wurde die Wohnung der Bernds verwüstet, Vater Sally wurde verhaftet und mit 100 anderen Koblenzern in das Konzentrationslager Dachau bei München verschleppt. Mutter Paula erlitt einen Nervenzusammenbruch. Sohn Addi war zu dieser Zeit schon nicht mehr in Koblenz, sondern in Köln und absolvierte dort eine Schweißerlehre. So entging er zunächst der Deportation. Seine Eltern Sally und Paula sowie sein Onkel Alfred und dessen Familie mussten am 22. März 1942 mit der 1. Deportation von Koblenz aus in das „Durchgangsghetto“ Izbica bei Lublin im von Nazi-Deutschland besetzten Polen („Generalgouvernement“) gehen. Dort oder dann im Vernichtungslager Sobibor kamen sie alle ums Leben. Auch Addi Bernd wurde 1943 von Köln aus nach Auschwitz deportiert. Dank seines jugendlichen Alters und seiner Fähigkeiten als Schweißer überlebte er den Holocaust. Er war der einzige Überlebende von Koblenz, der nach der Befreiung nach Koblenz zurückkehrte. In der frühen Nachkriegszeit erwarb er sich große Verdienste, weil er die jüdische Kultusgemeinde von Koblenz wiedergründete und auch die Dachorganisation, den Landesverband der jüdischen Gemeinden von Rheinland-Pfalz, gründete und leitete.
Jetzt wurden für die Eltern Sally und Paula und den Sohn Addi Bernd Stolpersteine im Bereich der Görgenstraße/Clemensstraße verlegt. Ungefähr an diesem Ort (durch den Bau des Schängel-Centers sind die frühere Straßenführung und Häuser nicht mehr vorhanden) stand früher das Schuhhaus Bernd. Inhaber des Geschäfts war außer Sally Bernd auch dessen Bruder Alfred. Alfred Bernd hatte dort auch seine Familienwohnung. Für ihn und seine Familie (Ehefrau Else und die Zwillinge Bernhard und Johanna), die ebenfalls mit der 1. Deportation am 22. März 1942 von Koblenz aus nach Izbica verschleppt wurden, liegen hier bereits vier Stolpersteine. Jetzt sind zu denen Steinen für die Familie Alfred Bernd noch die der Familie Sally Bernd hinzugekommen. So wird die Erinnerung an diese beiden Familien Bernd an einer gemeinsamen Stelle im Zentrum von Koblenz wachgehalten.
Stolpersteine der beiden Familien Bernd
Eigens zur Verlegung der Stolpersteine waren aus den USA die beiden Enkelinnen von Sally und Paula Bernd (und Töchter von Addi Bernd) – Janet Bernd Isenberg und Paulette Bernd Erde mit ihren Angehörigen angereist. Begrüßt wurden sie und die anderen Teilnehmer der Verlegung von dem Vorsitzenden der Christlich-Jüdischen Gesellschaft für Brüderlichkeit Prof. Dr. Alban Rüttenauer und dem Kulturdezernenten der Stadt Ingo Schneider. Zur Geschichte der Familie Bernd sprach Dr. Ulrich Offerhaus und Janet Isenberg ließ die deutsche Übersetzung ihrer Ansprache verlesen. Zum Abschluss gab es noch ein Familienfoto an den Stolpersteinen für die Familien Alfred und Sally Bernd mit den Schwestern Janet und Paulette und der Biografietafel für deren Vater Addi Bernd.
Familienfoto an den Stolpersteinen für die Familien Alfred und Sally Bernd
mit den Schwestern Janet und Paulette und der Biografietafel für deren Vater Addi Bernd.
Janet und Paulette
mit der Biografietafel für deren Vater Addi Bernd.
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe: "Koblenz erinnert: 80 Jahre Kriegsende und Befreiung" veröffentlicht der Förderverein Mahnmal Koblenz einen Beitrag unseres stellvertretenden Vorsitzenden Joachim Hennig zum (Über-)Leben der Koblenzer Juden nach dem Holocaust und in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Hennig schreibt ja an der Geschichte der Juden in Koblenz von den Anfängen im Jahr 1104 bis heute. Inzwischen arbeitet er am Teil 5 (von 1945 bis heute). Aus diesem Teil lesen Sie hier einen Vorabdruck mit dem Titel: "Kriegsende, Befreiung und schwere Anfänge". Die vollständige Geschichte der Juden in Koblenz wird voraussichtlich im Sommer oder Frühherbst auf dieser Homepage veröffentlicht sein.
Foto: SGD Nord / Marc Thielen
Pressenachlese zur Veranstaltung von: Rhein-Zeitung Koblenz, Artikel vom 29.März 2025 HIER lesen